#180 Wer in die Zukunft wachsen will, braucht kontroverse Stimmen
Worum geht es in diesem Artikel?
Warum wir Kritiker brauchen um wachsen zu können
Warum wir Kritiker brauchen und wie sie uns wirklich weiterbringen
(Ein Blogartikel mit persönlichen Gedanken, einer Würdigung von Frank Plate, Anlehnungen an Karl Popper, Tom Peter, John Streleky, Randy Pausch, Gunther Schmidt, Milton Erikson, Dave Snowden und der Suche nach den „Unterschieden, die einen Unterschied machen“.)
Wertvolle Impulse von Frank Plate
In letzter Zeit habe ich fast zu jedem Beitrag großartige Kommentare von Frank Plate erhalten, die mich immer wieder auf neue Ideen bringen. Seine Hinweise und konstruktive Kritik helfen mir dabei, meine eigenen Annahmen zu hinterfragen und Bereiche zu erkennen, in denen ich noch wachsen kann. Genau dieses Hinterfragen ist für uns alle unverzichtbar, wenn wir uns wirklich weiterentwickeln wollen.
Allerdings fiel es mir persönlich lange Zeit schwer (erst seit 13 Jahren), Beiträge wie von Frank Plate tatsächlich voll anzunehmen. Der Kopf wusste das schon länger, doch das Bedürfnis „Verbunden zu sein“ stand dem gegenüber. Vor allem in den frühen Phasen, wenn man ein Unternehmen gründet, gibt es unzählige Stimmen, die sagen: „Das gab es schon“, „Das braucht doch niemand“, „Das funktioniert sowieso nicht.“ Man braucht ein enormes Durchhaltevermögen, um solche Aussagen auszublenden und dennoch an den eigenen Ideen festzuhalten. Gleichzeitig ist es jedoch genauso wichtig, ein offenes Ohr für fundierte, kreative Kritik zu bewahren. Dieses ständige Abwägen zwischen „Wachsamkeit“ und „Ignorieren“ ist ein extrem schwieriger Balanceakt, der mir persönlich sehr viel Zeit und Erfahrung abverlangt hat.
1. Persönliche Gedanken: Mein Weg zur Wertschätzung von Kritik
1.1. Inspiration durch Tom Peters
Einer meiner ersten großen Aha-Momente rund um das Thema Kritik ereignete sich beim Lesen von Tom Peters’ Büchern. Sein Klassiker „In Search of Excellence“ hat mich für das Thema Exzellenz begeistert. Besonders prägend fand ich jedoch die Lektüre von „Top 50 Service Management“, in dem er sinngemäß rät: Suche dir schwierige Kunden, denn schwierige Kunden lassen dich wachsen.
Diese Sichtweise war für mich regelrecht bahnbrechend. Zuvor empfand ich „anstrengende“ Kunden, die ständig kritische Fragen stellten, vor allem als Bremse. Doch plötzlich verstand ich, dass sie mir eigentlich halfen, Schwachstellen zu erkennen und besser zu werden.
1.2. Neue Perspektiven durch John Strelecky
Einige Jahre später stieß ich auf John Streleckys Konzept der „Big Five for Life“ und die Idee seiner „Mach mich besser“-Workshops. Darin wird deutlich, wie wertvoll es ist, wenn andere Menschen uns ehrlich Feedback geben – auch (und gerade) wenn es mal wehtut. Genau diese Konfrontation mit unseren blinden Flecken lässt uns wachsen, sowohl beruflich als auch persönlich.
1.3. Feinde suchen? Robert Greene und die 50 Gesetze
Ein weiterer Denkanstoß, viel früher um das Jahr 2000, kam von Robert Greene, der in seinen Werken sinngemäß sagt: „Feinde sind ehrlich zu dir“. Natürlich geht es hierbei nicht darum, sich aktiv mit jedem anzulegen, sondern darum, Menschen um sich zu haben, die den Mut haben, laut „Nein!“ zu sagen, Fragen zu stellen oder eine komplett gegensätzliche Perspektive einzunehmen. Nur so erkennen wir unsere Denkfehler und können Strategien verbessern, anstatt uns in einer Komfortzone aus Ja-Sagern zu verlieren.
1.4. „So lange du noch kritisiert wirst, bist du im Spiel“
Ein weiterer für mich sehr wertvoller Leitsatz stammt aus Randy Pauschs „The Last Lecture“. Er sagte sinngemäß: Solange du noch kritisiert wirst, bist du im Spiel. Das ist eine unglaubliche Erkenntnis: Kritik bedeutet Aufmerksamkeit und oft sogar eine Form von Wertschätzung. Wer uns kritisiert, setzt sich tatsächlich mit uns auseinander. In dem Moment, in dem uns niemand mehr widerspricht oder kritisiert, kann es sein, dass wir schlichtweg nicht mehr relevant sind.
2. Warum Kritiker unverzichtbar sind
2.1. Sie zeigen uns unsere blinden Flecken
Wir alle sehen in erster Linie das, was uns am nächsten liegt. Kritiker – ob konstruktiv oder unbequem – weisen uns auf Schwachstellen hin, die wir selbst gar nicht bemerken. Gerade dann, wenn wir voll und ganz in unseren Ideen aufgehen, ist es unglaublich hilfreich, auf Fragen und Zweifel von außen zu stoßen.
2.2. Sie fördern unsere Weiterentwicklung
Kritik führt dazu, dass wir uns immer wieder hinterfragen. Ohne diese Reibung besteht die Gefahr, dass wir in unserer eigenen Selbstbestätigung verharren. Kritische Stimmen können uns dazu motivieren, noch bessere Argumente zu finden, Prozesse zu optimieren oder komplett neue Lösungswege zu beschreiten.
2.3. Sie machen uns resilienter
Niemand hört gerne, dass etwas nicht perfekt läuft. Aber gerade diese unbequeme Wahrheit härtet uns ab. Wir lernen, mit Rückschlägen umzugehen und uns selbst kritisch zu reflektieren. Wenn man sein eigenes Unternehmen aufbaut, gehört es schlichtweg dazu, mal unbequemes Feedback zu bekommen. Mit der Zeit lernt man, die wichtigen Anteile daraus zu extrahieren, um weiterzukommen.
3. Karl Popper: Kritik als Motor für Erkenntnis
Der Philosoph Karl Popper war ein Verfechter der Idee, dass Wissen nur dann voranschreiten kann, wenn unsere Theorien immer wieder kritisch geprüft werden. In seinem Konzept der Falsifikation betont er:
Jede Theorie gilt nur so lange, bis sie widerlegt wird.
Relevanz für uns:
Lassen wir zu, dass andere unsere Ideen hinterfragen (und womöglich widerlegen), entwickeln sich daraus oft neue und bessere Konzepte. Wenn wir uns verschließen, riskieren wir, dass wir in veralteten Denkmustern verharren.
4. Dave Snowden: Komplexität verstehen und Unterschiedlichkeiten schätzen
Dave Snowden, bekannt für das Cynefin-Framework, zeigt auf, wie komplex unsere moderne Welt ist. Einfache Lösungen greifen zu kurz. Genau in dieser Komplexität benötigen wir verschiedene Perspektiven, um den Kern eines Problems wirklich zu erfassen.
- Verschiedene Perspektiven
Kritiker (und auch schwierige Kunden!) eröffnen uns oft völlig andere Blickwinkel. Anstatt nur im eigenen „Blasen-Denken“ zu verharren, werden wir gezwungen, komplexe Sachverhalte aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Besonders der naive Ansatz, ein Problem mal ganz anders zu lösen. - Unwissenheit aushalten
Snowden betont, dass wir auch akzeptieren müssen, nicht alles zu wissen. Kritiker erinnern uns immer wieder daran, dass unser Wissen begrenzt ist – und genau das schafft Raum für Wachstum.
5. Die Suche nach den „Unterschieden, die einen Unterschied machen“
Der Begriff stammt von Gregory Bateson und erinnert uns daran, dass wir diejenigen Unterschiede finden müssen, die tatsächlich relevant sind.
- Was bedeutet das praktisch?
Wenn ein Kritiker uns auf eine kleine Schwäche hinweist, kann diese in Wahrheit einen großen Einfluss auf das Endergebnis haben. Beispielsweise mag es nur ein kleiner Feinschliff im Kundenservice sein, der jedoch den entscheidenden Unterschied für die Kundenzufriedenheit macht. - Hebelwirkung
Ein minimaler Perspektivenwechsel kann unter Umständen das gesamte Projekt oder gar das ganze Unternehmen auf eine neue Erfolgsbahn bringen. Genau darin liegt die Kraft der Kritik: Sie macht uns auf diese „Hebel“ aufmerksam. - Im Innovationsbereich ist es der wichtige Ansatz, gegenteilige Ansichten und Polaritäten zu suchen.
6. Wertschätzung als Schlüssel: Was wir von George Lakoff und Elisabeth Wehling lernen können
Die Linguisten George Lakoff und Elisabeth Wehling haben eindrücklich gezeigt, wie sehr unser Denken und Handeln von „Frames“ – also gedanklichen Deutungsrahmen – geprägt ist. Wir neigen dazu, Informationen unbewusst auszublenden oder abzulehnen, sobald sie nicht in unser gewohntes Weltbild passen. Fakten allein reichen oft nicht aus, um Überzeugungen zu ändern, wenn diese tief in unserer Identität verwurzelt sind.
6.1. Die menschliche Eigenart, Andersartiges abzulehnen
- Wenn etwas unserem Selbstverständnis oder unserem Weltbild widerspricht, reagieren wir häufig mit Ablehnung, selbst wenn die Fakten klar auf der Hand liegen.
- In solchen Situationen wird Kritik schnell als „Bedrohung“ empfunden. Wir gehen in eine Art Verteidigungsmodus.
6.2. Warum Wertschätzung so entscheidend ist
- Wer sich mit Lakoff und Wehling beschäftigt, erkennt: Um wirklich bei anderen vorzudringen, zählt nicht nur, was wir sagen, sondern wie wir es sagen und wie wir dabei mit unserem Gegenüber umgehen.
- Wenn wir die Person, die uns kritisiert, ernst nehmen und wertschätzen, entsteht ein Raum für offenen Austausch. Dort ist es leichter, neue Perspektiven anzunehmen – selbst wenn sie auf den ersten Blick unangenehm wirken.
- Genauso hilft es aber auch in die andere Richtung: Wenn wir unsere Kritik an anderen äußern, sollte sie von Respekt und Wertschätzung getragen sein. Nur so haben unsere Worte eine Chance, beim Gegenüber überhaupt Gehör zu finden.
6.3. Beziehungen und Systeme, in denen Kritik willkommen ist
Dieses Prinzip funktioniert besonders gut in Systemen, wo konstruktive Kritik ausdrücklich erwünscht ist (z. B. „Mach mich besser“-Workshops von John Strelecky). Hier wird die Offenheit gefördert, neue Fakten anzunehmen und das eigene Handeln daran auszurichten.
In einer wertschätzenden Beziehung – sei es im Kollegenkreis, in Netzwerken oder mit Kunden – wird Kritik nicht sofort als Angriff verstanden. Stattdessen sehen beide Seiten darin eine Chance, sich gegenseitig zu verbessern.
7. Emontionen anerkennen und ins handeln finden
Ein Kritikmoment kann uns emotional schnell „aus der Bahn werfen“. Gunther Schmidt beschreibt das bildhaft als „in den Keller gehen“: Man fühlt sich plötzlich getroffen, versinkt kurzzeitig in Selbstzweifeln oder Ärger, weil man bemerkt, dass man etwas übersehen oder falsch eingeschätzt hat.
An dieser Stelle helfen die ressourcenorientierten Ansätze von Milton Erickson indem wir lernen, diesen kurzen Moment der negativen Emotion (Unbehaglichkeitsgefühl) nicht zu verdrängen, sondern bewusst wahrzunehmen. Das bedeutet konkret, im „Keller“ einen Moment innezuhalten und dann wieder nach oben zu kommen – angereichert mit der Erkenntnis, was wir künftig besser machen können. So lässt sich der anfängliche Reflex („Mist, ich habe da was übersehen“) in einen positiven Handlungsschritt umwandeln.
Entscheidend ist dabei, sich selbst wertschätzend zu sagen: „Ja, ich bin gerade überrascht oder verärgert, aber genau in diesem Gefühl steckt eine Chance, jetzt etwas Neues zu lernen.“ Dieses proaktive Umdeuten – vom spontanen Unbehagen hin zu einer neuen Perspektive – führt uns zurück ins konstruktive Handeln und stärkt langfristig unsere Resilienz im Umgang mit Kritik.
So ist das bei mir, ich gehe kurz in das Gefühl, bis ich merke das ich dem Gefühl bin und dann das neue Gefühl der Dankbarkeit kommt.
8. Vom Umgang mit Kritik: Die Balance zwischen Offenheit und Standfestigkeit
Wie eingangs erwähnt, braucht es eine kluge Balance: Zu viel Kritik kann lähmen, zu wenig Kritik führt zu Stillstand.
- Konstruktive Kritik annehmen
Menschen wie Frank Plate, die respektvoll, aber hartnäckig nachfragen oder auf Schwachstellen hinweisen, sind Gold wert. Es lohnt sich, genau zuzuhören, was sie zu sagen haben und daraus zu lernen. Wichtig man muss nicht jeden Gedanken teilen, dennoch lohnt es sich jeden Gedanken verstehen zu wollen. - Unproduktive Kritik ausblenden
Manche Menschen wollen lediglich destruktiv sein. Sie kritisieren nicht, um zu helfen, sondern um zu entwerten. In solchen Fällen ist es wichtig, sich nicht entmutigen zu lassen. Ziehe, wenn möglich, den wahren Kern aus der Kritik, falls vorhanden – und lege den Rest beiseite. - Zielgerichtetes Ignorieren
Beim Gründen eines Unternehmens stößt man oft auf viele Stimmen, die behaupten: „Das brauchen wir nicht“, „Das gibt es doch schon“, „Das funktioniert nie“. Vieles davon ist pauschal oder unbegründet. Würde man auf jede Bemerkung reagieren, käme man nie zum Arbeiten. Hier hilft es, eine Art Filtermechanismus zu entwickeln, um die wirklich wertvollen Feedbacks von den „Nörglern“ zu trennen.
9. Schlussgedanken: Gemeinsam stark durch konstruktive Reibung
Kritik ist kein Luxus, sondern ein essenzieller Bestandteil von persönlichem und unternehmerischem Wachstum. Egal ob Karl Popper uns rät, unsere Theorien immer wieder auf den Prüfstand zu stellen, Dave Snowden uns die Relevanz unterschiedlicher Blickwinkel in komplexen Systemen aufzeigt oder Gregory Bateson uns an die „Unterschiede, die einen Unterschied machen“ erinnert – wir brauchen die mutigen Stimmen, die uns herausfordern.
Für mich persönlich war es ein langer Weg, anzuerkennen, wie wertvoll und inspirierend gerade die schwierigen Kunden, die skeptischen Kollegen oder die kritischen Freunde sein können. Der Leitsatz aus Randy Pauschs „The Last Lecture“, dass Kritik bedeutet, noch im Spiel zu sein, trifft es auf den Punkt: Kritik ist Aufmerksamkeit und oft eine Form von Wertschätzung.
Deshalb weiß ich auch die Kommentare von Frank Plate so sehr zu schätzen. Er ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie man auf respektvolle, aber herausfordernde Weise zum Nachdenken anregt. Wenn wir offen bleiben für solche wertvollen Impulse – ob von Kunden, Kollegen, Mentoren oder Buchautoren wie Tom Peters, John Strelecky, Robert Greene oder Randy Pausch –, dann können wir unser Potenzial wirklich ausschöpfen. Und genau das macht Kritiker so großartig: Sie zeigen uns, dass wir immer noch besser werden können.